Die bessere Hälfte… der Familie
Die Unmöglichkeit eine (moderne) Frau zu sein
Von Peter Staatsmann
Premiere am 06. März 2020
Fünf Frauen, fünf Biographien, mehrere Generationen. Im Dickicht der Widersprüche einer modernen Welt, die Leistung und Wachstum über alles stellt, verirren sich fünf Frauen, die um ihr Überleben kämpfen. Was sich zuerst als Freiheit und als Zuwachs an Machtbeteiligung öffnet, erweist sich immer öfter als ein neues – altes – Gefängnis von Leistung und Zwang. Marie hat zwei Töchter großgezogen, immer den Mund aufgemacht, sich nichts gefallen lassen, jetzt driftet sie in die Demenz ab.
Was ist mit ihren Töchtern, die um ihr eigenes finanzielles Überleben kämpfen, sei es in einem aufstrebendem Startup oder in prekären Verhältnissen? Sie hoffen mit dem Engagement, einer albanischen Pflegekraft die Misere zu meistern. Allerdings lehnt Marie diese ab. Es folgt Plan 2: Könnten die neuen digitalen Hilfsmittel nicht auch in diesem Fall helfen? Kann die Mutter ans Netz angeschlossen werden? Zudem drängt sich eine neugierige Nachbarin in die Kleinfamilie. Sich-um-Andere-Kümmern kann auch befriedigend sein, erkennt sie.
Fünf Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs – im Zeitalter einer Modernisierung, die Zeit und Raum digital aufgehoben haben, gleichzeitig uns aber auch aller Empathie beraubt. Frauen werden vor die Entscheidung gestellt: Mitspielen bei diesem Spiel um Geld und Erfolg oder Unsichtbarkeit und soziale Bedeutungslosigkeit. Aber wie viel ist eine Moderne wert, die mich zwingt, mein Geschlecht zu verleugnen, mich hindert, meine Wünsche zu lesen?
Das Stück, die Inszenierung spürt diesen Strukturen nach, legt Paradoxien und Widersprüche frei. Oft tun sich unerwartete Zwänge genau dort auf, wo wir Befreiungen sehen oder erhofft haben. Unsere Befreiungsbewegungen im Sozialen zurren die Abhängigkeiten in tieferen Schichten, in unserer Psyche, fester.
Peter Staatsmann stößt im 3. Teil seiner Deutschland-Trilogie nach „Wenn der Kahn nach links kippt, setze ich mich nach rechts“ und „Raub der Europa“ tiefer in die Mikrostruktur unserer Gesellschaft vor und bringt das Unbewusste zum „Sprechen“. Immer wieder haben Traumata die deutsche Gesellschaft geprägt, Traumata, die oft nicht aufgearbeitet werden konnten und so weitervererbt wurden. Die Menschen ergreifen dann allzu gern die Angebote, die von neuen Systemzwängen ausgehen und die Konvention setzt sich durch. Welche Chancen haben wir, unseren Traumata zu entkommen bzw. sie zu bearbeiten? Die Balancierung veränderter Geschlechterrollen wird uns noch lange und intensiv beschäftigen, hängt doch nicht zuletzt die gesamte Reformfähigkeit unserer Gesellschaft daran.
Regie: Peter Staatsmann
Mit: Nora Kühnlein, Valentina Sadiku, Maika Troscheit, Petra Weimer, Britta Werksnis
Musik: Dorin Grama
Dramaturgie & Kostüme: Bettina Schültke